J.C. Jerabek
Erzählungen
Leseprobe:
Viktor und der Fuchs
Es gibt ein Dorf, weit im Norden. Es ist klein und es leben nur wenige Leute darin. Als junger Mann besuchte ich einst dieses Dorf. Nicht freiwillig natürlich. Ich war ein Journalist und wollte die Welt erobern. Geheime Machenschaften korrupter Politiker aufdecken, auf die Ungerechtigkeit der Welt aufmerksam machen oder zumindest interessante Menschen kennen lernen, etwas Weltbewegendes tun. Meine Chefredakteurin sah das jedoch nicht so und sandte mich los, um über den Strudel zu schreiben. Der Strudel war im ganzen Land bekannt und ein beliebtes Ausflugsziel für junge Familien. Sie posierten auf der natürlichen Steinbrücke und Wagemutige verrenkten sich für Fotos, damit es aussah, als würden sie in den Sog stürzen. Danach gingen sie essen und fuhren zufrieden wieder nach Hause. Es mag wohl etwas Abenteuerliches haben, über einen riesigen, immerwährenden Strudel zu schreiben, für mich war das damals aber nicht so. Er war Kommerz, weich gewaschen, uninteressant und in keinster Weise weltbewegend. Das Dorf, welches ich vorher erwähnt hatte, lag rings um den Strudel. Ich war dort und ich blieb einige Zeit. Im Endeffekt schrieb ich aber nie über den Sog und nie über das Dorf. Jetzt bin ich alt, werde nicht mehr lange auf dieser Erde weilen und nun ist die Zeit gekommen, die Leute wissen zu lassen was es mit diesem Naturwunder auf sich hat, jetzt darf mich der Strudel holen.
1. Tag
Es war ein kalter, stahlgrauer Novembertag, als ich mit dem Bus am Rande der kleinen Ortschaft ankam. Es regnete in Strömen, das Wasser floss mir in die Augen und ich versuchte mit Müh' und Not, den kleinen Notizzettel zu lesen, den mir meine Chefredakteurin mitgegeben hatte. Ich hätte darauf den Namen und die Adresse des Gasthofes finden müssen, in dem ich in meiner Zeit hier einquartiert war, die Tinte war jedoch nach wenigen Sekunden verwischt und ich hielt ein wertloses, weißes Stück Papier in Händen. Resigniert sah ich ein, dass ich mich auf eigene Faust auf die Suche nach dem Gasthof machen musste. Ich ging los, in die Richtung, in der ich das Zentrum des Dorfes vermutete. Tatsächlich kam ich nach kurzer Zeit mit tauben Händen und durchnässt am Hauptplatz an. In einem Halbkreis standen kleine Häuser, dicht aneinandergedrängt, als würden sie sich wie ich, unter dem nicht nachlassenden Regenguss zusammenkauern. Eine Tür ging auf und ich sah einen Schatten durch den Regen laufen und verschwinden. Der kurze Moment hatte gereicht, um Gelächter und fröhliches Stimmengewirr an mein Ohr zu tragen. Schnell überquerte ich den Platz und trat in den Raum, den der Schatten eben verlassen hatte. Drinnen wurde ich von einer wärmenden Woge überrollt, alle Einwohner und Touristen schienen sich hier versammelt zu haben. Es wurde gelacht, getrunken und gesungen. Die Stimmung war ausgelassen, überall rote Nasen und Wangen. Ich drängte mich durch das Gewirr. Eine Kellnerin kam mir mit einem Bier beladenen Tablett entgegen.
„Jungchen! Du bist ja triefnass! Bist du hergeschwommen?“, scherzte sie. „Setz dich zum Ofen, da hinten um die Ecke. Ich komm dann gleich zu dir!“
Dankbar kauerte ich mich neben den Kachelofen. Legte meine Haube und den Mantel auf die warmen Fliesen. Gerade als ich meine Schuhe aufschnürte, um meine kalten Füße daraus hervorzuziehen, stand die Kellnerin vor mir.
„Trink das Schätzchen. Das bringt dich wieder auf die Beine!“
Sie drückte mir eine Tasse in die Hand, die randvoll gefüllt war, mit etwas, das wie Kakao aussah, aber nach Rum roch. Ich war mir überhaupt nicht sicher, ob ich bereit war das unbekannte Gebräu zu trinken, doch die korpulente Kellnerin sah erwartungsvoll auf mich herab und ich wollte, nun endlich im Warmen, wirklich nicht unhöflich sein. Vorsichtig nahm ich einen Schluck. Schon spürte ich, wie die warme Flüssigkeit langsam meine Speiseröhre hinunterglitt, als sie im Magen angekommen war, strahlte sie sanft auf meinen ganzen Körper aus.
„Na also!“, sagte die Kellnerin freundlich, als sie mein erfreutes Gesicht sah. „Das ist ein Rezept von Mutter Roth. Eine ganze Menge Rum mit warmer Molke, Zimt, eine Prise getrocknetem Chilipulver, ein Schluck Starkbier und gepresster Ingwer, es gibt auch noch ein, zwei Geheimzutaten, die ich dir jetzt nicht verrate. Das Getränk heißt auch Mutter Roth, falls du wieder Mal was brauchst, um deine kalten Glieder zu wärmen!“, fügte sie augenzwinkernd hinzu und entschwand wieder in der Menschenmenge. An den Kachelofen gelehnt, mit meiner Mutter Roth in Händen, beobachtete ich das Treiben. Eine Familie saß nicht weit von mir entfernt an einem Tisch und aß etwas, dass aussah wie ein ganzer, frittierter Oktopus. Die Kinder hatten großen Spaß mit den vielen Tentakeln, die kross gebacken in alle Richtungen zeigten. Einige Männer saßen an der Bar und schienen leidenschaftlich übers Angeln zu diskutieren. Immer wieder wehten Wortfetzen zu mir herüber „Blutegel! Blutegel sind das einzig Wahre um diese vermaledeiten Fische zu fangen!“ oder „Wenn ich es euch sage! Drei Meter lang! Drei!“ Weiter hinten spielte eine Mutter ihrem Säugling auf einer Mundharmonika vor, dem Baby schien es zu gefallen. „Wer bist du denn?“, fragte mich da auf einmal eine krächzende Stimme. Neben mir saß ein kleines, altes Männlein, das ich bis gerade eben nicht bemerkt hatte. Seine Hose die gleiche Farbe wie die Bank auf der er saß, der Pullover in einem Ton mit der Wandvertäfelung.
„Ähm ... Mischa. Mischa Fuchs“, antwortete ich überrascht.
„Ich will nicht wissen, wie du heißt! Ich will wissen wer du BIST!“
Sogar jetzt im hohen Alter ist es immer noch schwierig, die Frage nach dem eigenen Sein zu beantworten, wahrscheinlich geht das gar nicht. Man wird nur wortgewandter mit den Jahren und kann leichter drum herumreden, bis der Gegenüber zufrieden ist. Mit zwanzig jedoch, ist es eine Sache der Unmöglichkeit diese Frage in zufriedenstellender Weise zu beantworten. Also sagte ich damals das, was mir als erstes einfiel.
„Ich bin Journalist! Ich bin hier, um über den Strudel zu schreiben.“ Der Mann sah mich mit verkniffenen Augen an.
„Ah. Wieder einer. Viktor wird dich auch holen. Und du weißt nicht mal wer du bist. Eine Schande. Ein Journalist ja, ja. Schön und gut. Aber willst du wissen was du wirklich bist?!“ Verwirrt nickte ich ihm zu, ich nahm noch einen Schluck der Mutter Roth, merkte langsam wie mir das Getränk zu Kopfe stieg, und stellte die Tasse auf den Tisch vor mir. „Das solltest du nicht tun, Junge. Die Kugelrunde Rosa ist sehr stolz auf ihr Familienrezept. Wenn du nicht austrinkst, bekommst du hier Hausverbot.“ Zögerlich nahm ich die Tasse wieder in die Hand und sah mich nach der Wirtin um, die war aber damit beschäftigt einem raubeinigen Seemann ins Ohrläppchen zu kneifen und ihn zu schelten. „Du bist einfach nur ein Klumpen aus Fleisch und Flachsen. Aus Blut und Knochen. Aus Fett und Sehnen!“, keifte mich der Alte an. „Verstehst du das?!“ Ich nickte unsicher. „Haare! Haare auch noch. Zumindest du. Wie du siehst, sind mir nicht viele geblieben!“, er lachte heiser und klatschte sich mit der runzligen Hand auf die hageren Knie. Er beruhigte sich wieder und sah mich mit rot unterlaufenen Augen an.
„Wo bleibst du eigentlich Junge? Im Gasthof zum nebligen Strudelblick?“
„Gibt es noch einen anderen hier im Dorf?“, fragte ich jetzt schon mutiger vom vielen Rum.
„Natürlich nicht! Hier leben dreihundert Seelen! Mehr als einen Gasthof brauchen wir nicht!“, entrüstete sich das Männlein.
„Aber Gasthöfe sind doch für Gäste, nicht für die Einwohner...“, warf ich ein. Der Alte schien scharf nachzudenken und rief dann aus
„Aber niemand in diesem Dorf würde mit der Witwe Bock konkurrieren wollen! Ihrer Familie gehört der Gasthof jetzt seit dreihundertfünfzig Jahren! Dreihundertfünfzig! Ob du's glaubst oder nicht Junge!“, er hielt kurz inne und sah mit glasigen Augen ins Leere „Sie war angeblich eine Schönheit musst du wissen. Die Witwe Bock, bevor sie die Witwe Bock war. Sie heiratete den Maxi. Der hats ihr als Einziger angetan. Aber er wurde geholt, so erzählt man sich.“ Immer noch starrte er auf einen Punkt zwischen dem schmutzigen Fenster und einem besonders hässlichen, ausgestopften Fisch der an der Wand hing. Ich räusperte mich, um ihn wieder an meine Anwesenheit zu erinnern. Er sah mich überrascht an.
„So ist das Junge!“ rief er aus, als sei nichts Absonderliches passiert.
„Können Sie mir sagen wo ich den Gasthof von der Witwe Bock finde?“, fragte ich. Endlich war mir klar geworden, dass das Alterchen einfach nur ein bisschen, nunja, alt war, aber in keiner Weise bedrohlich oder sonst irgendwie gefährlich.
„Ja, ja natürlich Junge. Geh einfach nur über den Platz, es ist gleich gegenüber. Kaum zu verfehlen! Und wenn doch, musst du ganz schön dumm sein!“, er kicherte heiser. Ich bedankte mich und trank den Rest der Mutter Roth in einem Zug aus. Ich schlüpfte in meine nassen Schuhe und legte etwas Geld auf den Tisch. Als ich bereits am Gehen war, drehte ich mich noch einmal zu dem Alten um.
„Wie ist eigentlich Ihr Name?“, fragte ich.
„Viktor! Ich heiße Viktor, Junge!“
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